“Employer Branding im öffentlichen Dienst? So kann es gehen. ” - Interview mit Andy Berg
Andy Berg ist Sachgebietsleiter Personalentwicklung bei der Stadt Solingen und war auf Kundenseite Projektleitung in unserem Employer Branding Projekt.
Im Interview gibt er Einblicke in die Herausforderungen und Erfolgsfaktoren beim Aufbau einer authentischen Arbeitgebermarke, erzählt, wie das Projektteam mit kritischen Stimmen umgegangen ist, und teilt seine persönlichen Erfahrungen als Projektleiter – und warum Employer Branding für ihn kein einmaliges Ergebnis, sondern ein langfristiger Prozess ist.
Warum habt ihr euch bei der Stadt Solingen für Employer Branding entschieden?
”Je nach Rolle waren da sehr unterschiedliche Gründe. Klassisch natürlich: Fachkräftemangel entgegenwirken, Attraktivität als Arbeitgeber steigern, Abhebung von der Konkurrenz, Gewinnung qualifizierter Bewerber, Mitarbeiterbindung verbessern, Mitarbeitermotivation erhöhen, kürzere Vakanzzeiten bei Stellenbesetzungen und Kostensenkung im Recruiting. Neben den genannten Punkten habe ich mich besonders gefreut dieses Projekt zu leiten, weil es im Leben eines HR-Managers ausgesprochen selten vorkommt, eine Marke von Grund auf aufbauen und gestalten zu können. Wann hat man das schon mal im Leben? Das war möglicherweise ein einmaliges Erlebnis, an das ich mich mein ganzes Leben lang zurückerinnern werde. ”
Wie habt ihr intern die Leute abgeholt - gerade die kritischeren Stimmen?
“Mit ganz viel Aufklärungsarbeit. Wir haben einen Infobereich im Intranet und auf unserer Karriereseite angelegt, viele kurze Info-Videos gedreht, waren in Teams persönlich vor Ort, haben in unserem Internen Mitteilungsblatt informiert, hatten an bestimmten Zeitpunkten des Projekts Informationsstände in unseren Gebäuden, haben an verschiedenen Tagen zu verschiedenen Uhrzeiten Zoom-Infotermine durchgeführt, waren mit dem Projekt auf unserer Führungskräfteklausur und, und, und. Bei einem so großen Projekt, das wirklich jeden betrifft, war es uns wichtig, nicht nur auf einen einzigen Kanal zu setzen. Wir wollten die Wahrscheinlichkeit steigern, wirklich jeden erreichen zu können. Uns war es aber auch wichtig, nicht nur über den Kanal nachzudenken, sondern die Menschen auch inhaltlich und sprachlich mitzunehmen. Wir haben sehr viel storytelling betrieben und uns immer wieder überlegt, wie wir das Projekt und dessen Fortschritt so erklären können, dass es jeder versteht (Stichwort: Fachbegriffe) und dass jeder die Relevanz im eigenen Arbeitstag erkennen kann. ”
Wie war es für dich, mit externer Begleitung zu arbeiten? Was war anders als gedacht?
“Wir haben uns im Vorfeld genau überlegt, an welchem Punkt vom Projekt wir eine externe Begleitung haben möchten – und wo eben auch nicht. Wir hatten uns bewusst gegen eine vollumfängliche Begleitung entschieden und gezielt entschieden, uns dort externe Expertise zu holen, wo wir zu wenig Zeit und zu wenig Spezialwissen haben. Als öffentlicher Dienst mussten wir die Leistung ausschreiben. Das war… aufwändig. Aber die Zusammenarbeit war herausragend gut. Wir haben für gewissen Projektabschnitte nochmal ganz neue Impulse und Sichtweisen erhalten, wurden überaus professionell beraten und begleitet und hatten am Ende ein Ergebnis, mit dem wir mehr als zufrieden waren. Und trotzdem gab es Punkte, die anders als geplant waren: Das Projekt zog sich länger als geplant und es gab an eins, zwei Stellen mehr Schleifen, als geplant. Und gerade hier war es für mich, als Projektleitung, sehr angenehm zu sehen, wie unproblematisch die Zusammenarbeit (trotzdem) weiterhin verlief. In so einem arbeitsintensiven Projekt sind das die Momente, an denen sich zeigt, ob man nur des Geldes wegen zusammenarbeitet, oder weil man die Haltung hat, gemeinsam wirklich etwas erreichen zu wollen… ”
Welche Phase im Projekt war für dich am intensivsten – und warum?
“Die Phase, in der wir unser eigenes Arbeitgeberimage erhoben haben. Wir haben uns bewusst gegen eine Befragung und für Gruppenworkshops entschieden. Wir haben die 10 Workshops personell so zusammengesetzt, dass die Teilnehmer einen statistisch exakten Querschnitt unserer gesamten Organisation widerspiegeln: Alter, beruf, Geschlecht, Betriebszugehörigkeit etc. Das war unglaublich aufwändig zu organisieren. Und dann, im nächsten Schritt, auch ein sehr ehrliches und authentisches Feedback zu bekommen war einerseits super klasse, aber man muss auch aushalten können, dass nicht alles Feedback toll ist. Und das ist in Ordnung. Genau wie Menschen haben auch Arbeitgeber Seiten an sich, die nicht high fives sind. Genau diese Facetten muss man aber beim Markenaufbau genauso berücksichtigen, wenn man eine wirklich ehrliche, authentische Marke aufbauen möchte. ”
Was hast du über die Stadt Solingen gelernt, das dir vorher so nicht klar war?
“Es gibt Eigenschaften, von denen man in seiner Bubble „dort oben“ fest annimmt, dass sie vorhanden sind und gesehen werden. Und genau diese Eigenschaften werden in der Bubble „unten“ aber nicht immer wahrgenommen – um einmal etwas bildlicher zu sprechen. Und andersherum ist es genauso. Das ist bei einer Organisation mit über 4.000 Beschäftigten und mehr als 250 Teams normal, denke ich. Ich fand es aber spannend zu sehen, wo sich alle Beschäftigten einig waren und wo es teilweise auffallende Unterschiede in der Wahrnehmung gab. Genau das macht so ein Projekt aber auch erst richtig interessant finde ich: Den sweet spot herausarbeiten, mit dem sich die allermeisten gut identifizieren können. Genau da fängt das echte, wirkungsvolle Employer Branding überhaupt erst an.”
Wenn du unsere Arbeitsweise mit drei Worten beschreiben müsstest - welche wären das?
“EINFACH ABSOLUT GROSSARTIG”
Wie war es für dich, die finale Arbeitgebermarke präsentiert zu bekommen?
“Ich war ziemlich angespannt und aufgeregt. Man hat über Monate darauf hingearbeitet und war sich sehr lange unsicher, wie das Ergebnis aussehen wird. Beim Bau von einem Haus kennt man die Pläne und vorgefertigte Bilder. Bei einer Marke ist das ein großes Überraschungspaket. Als die Marke dann fertig war, habe ich in erster Linie ein Gefühl von Stolz auf unser Projektteam empfunden. Wir haben gemeinsam etwas geschaffen, das einen unglaublichen impact haben kann. Wir sind durch sehr viele Täler gegangen, haben unglaublich viel Zeit und Energie in das Projekt gesteckt und dann war sie fertig. Unsere Marke. Unser Baby. Und wie bei einem echten Baby gilt: Ab jetzt muss man sich darum kümmern, es pflegen und ihm helfen, weiter wachsen zu können. Und dann wir daraus irgendwann ein richtig toller Mensch. Markenaufbau braucht Zeit. Markenkommunikation braucht Zeit. Und Markenentfaltung braucht Zeit.”
Was hast du aus dem Projekt mitgenommen, das dich vielleicht sogar über den Job hinaus geprägt hat ?
“Ich habe nochmal viel über Projektmanagement gelernt. Manche Szenarien hat man nur selten im Laufe eines Berufslebens, aber die prägen dafür umso mehr. Ich habe auch viel über mich selbst und meine eigene Frustrationstoleranz gelernt. So ein langes Projekt mit einer Vielzahl von Schleifen, begründeten Befindlichkeiten und Meinungen ist ein einziger Wirbelwind an Emotionen. Da lernt man wirklich viel über sich selbst.”
Was würdest du anderen raten, die gerade mit Employer Branding starten wollen?
“Drei Dinge:
Seid im Projektteam ganz ehrlich zu euch selbst und stellt euch die Frage, welche Kompetenzen und praktische Erfahrungen ihr wirklich habt – und welche nicht. Der Aufbau einer Marke ist essenziel und komplex. Er wird die ganze Organisation bewegen. Wenn einem das Know-How fehlt, sollte man lieber (punktuell) Fachexpertise von außerhalb einkaufen.
Employer Branding ist kein Sprint. Es ist ein Marathon. Ihr werdet Monate lang arbeiten, bevor ihr das erste, greifbare Ergebnis seht. Es wird Monate dauern, bevor ihr eurem Top Management das erste, greifbare Ergebnis präsentieren könnt. Macht euch das bewusst. Ihr werdet Durchhaltevermögen in seiner Perfektion brauchen. Und wenn ihr dann die Marke habt, beginnt die noch viel größere Arbeit: Internes und externes Marketing.
Setzt alles daran ein verbindliches, unantastbares commitment beim Projektauftraggeber, der Geschäftsführung oder der Instanz herzustellen, die bei euch an der Spitze steht. Personal. Budget. Der eiserne Wille, wirklich etwas verändern zu wollen. Das sind drei Faktoren, die in so einem Projekt schnell kippen können. Fällt ein Baustein weg, bricht das gesamte Haus zusammen. Macht euren Entscheider:innen wirklich bewusst, was für einen Weg ihr einschlagt und das dieser Weg auch zu vielen, unangenehmen Punkten kommen wird, durch die ihr euch gemeinsam durchbeißen müsst, wenn ihr langfristig erfolgreich sein möchtet. Ansonsten wird dieses Projekt eine einzige, große Verschwendung von Ressourcen werden.”
Was wünschst du dir für die Zukunft der Arbeitgebermarke – was soll auf jeden Fall bleiben, was darf sich noch weiterentwickeln?
“Sie SOLL sich sogar bitte weiterentwickeln. Employer Branding ist kein Ergebnis, sondern ein fortlaufender Prozess. Die Menschen innerhalb der Organisation und der Arbeitgeber selbst verändern sich und genau das muss sich in der Marke widerspiegeln. Mein bescheidener Wunsch ist daher, dass wir alle niemals vergessen, dass es die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind, die eine Organisation erfolgreich machen. In dem Moment, in dem wir aufhören in sie zu investieren, hören wir auf, in die Zukunft und den Erfolg unserer Organisation zu investieren.”
Vielen Dank für das Interview, Andy - und für die ehrlichen Einblicke in das Projekt!